#einfachkirche Lesen

Kirche ist mir egal!1!!

Immer mehr Menschen gehen auf immer größere Distanz zur Kirche. Zurecht und mit gutem Grund. Im letzten Teil meiner Serie über die drei großen Krisen der Kirche geht es um eben diese drei Krisen. Und die größte unter ihnen: Die Relevanzkrise der Kirche. Und um Netflix, House of Cards und eine VHS-Kassette.

Eines muss ich zur Verteidigung der Kirche dann doch mal sagen. Mit ihren Problemen und Krisen steht sie nicht alleine da. Auch anderen Institutionen geht es ähnlich, z.B. Parteien und Gewerkschaften. Ich habe es im ersten Teil der Serie schon einmal so ähnlich geschrieben, hier nochmal in aller Deutlichkeit: Das Grundproblem ist kein allein kirchliches.

Aber: Es trifft die Kirche eben auch und nicht minder hart. Die Feststellung, dass auch andere vergleichbare Institutionen mit sehr ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, darf nicht als Ausrede genutzt werden. Aber es kann ein „Augenöffner“ sein, um zu erkennen, was der Auslöser der Krise ist. Gesellschaftliche Veränderungen.

Gesellschaftliche Veränderungen auf die sich Kirche bislang nicht flexibel genug eingestellt hat. Und daher jetzt in vielfältigen Krisen steckt. Die Hauptkrise ist – aus meiner Sicht – dabei eine Relevanzkrise. Aufgrund dieser fehlenden Relevanz kommt es zu einer Mitgliederkrise. Und aufgrund des Mitgliederverlustes zu einer Finanzkrise.

Die Relevanzkrise

Seien wir ehrlich: Die Kirche in Deutschland befindet sich in erster Linie in einem stetigen Prozess des Relevanzverlustes. Die Leute wissen einfach vielfach nicht (mehr), was sie mit Kirche anfangen sollen. Was es ihnen bringt, was das überhaupt mit Kirche soll.

Kirche ist keine selbstverständliche Institution mehr, mit der jeder Mensch automatisch in Kontakt kommt. Kirche steht nicht mehr mitten im Dorf. Und in der Stadt erst recht nicht mehr. Es gibt immer mehr Menschen, die mit Kirche kaum oder nie Kontakt haben.

In den östlichen Bundesländern ist Kirche schon heute ein Minderheiten-Phänomen. Aber auch gesamtgesellschaftlich besitzen wir als Kirche schon lange keine Interpretationshoheit mehr. Wir sind eine Stimme unter vielen.

Die Milieuperspektive zeigt dabei ganz besonders, dass Kirche viele, vor allem postmoderne, Milieus kaum erreicht. Wir haben zwar in jedem Milieu Mitglieder, erscheinen aber für die meisten Milieus so irrelevant, dass es zu keiner aktiven Teilnahme und zu keinem nennenswerten Grad an Verbundenheitsgefühl kommt.

Die Mitgliederkrise

Häufig wird die folgende Tatsache verwechselt: Kirche verliert nicht an Bedeutung, weil wir Mitglieder verlieren. Sondern: Wir verlieren Mitglieder, weil wir an Bedeutung für die Menschen verloren haben.

Aktuell wirkt sich die Krise der Kirche vor allem als Mitgliederkrise aus. Je mehr Menschen die Kirche als nicht mehr relevant in ihrem Leben einstufen, desto mehr treten aus. Je mehr Menschen ausgetreten sind, desto weniger Kinder werden getauft, was den Mitgliederverlust verstärkt.

Hinzu kommt der demografische Wandel, der Kirche besonders trifft. Doch nicht nur Mitglieder gehen verloren, auch das Verbundenheitsgefühl der verbliebenen Mitglieder sinkt stetig und führt zu einer immer geringeren Beteiligung am kirchlichen Leben, was sich in stark sinkenden Gottesdienstbesuchszahlen äußert.

Vor allem im Osten Deutschlands hat sich die Situation bereits heute zugespitzt. In größeren Städten wie Halle, Magdeburg oder auch in Ostberlin liegt der Anteil der Christen zum Teil unter 10%. Unter 10%. Ausrufezeichen. Volkskirche. Fragezeichen. Nein. Ausrufezeichen. Ausrufezeichen. Ausrufezeichen.

Nicht-Zugehörigkeit ist zum Normalfall geworden. Es ist eine Generation entstanden, die ohne Kontakt zur Kirche aufgewachsen ist. Einige Theologen sprechen daher von einer „nach-volkskirchlichen-Ära“. Und was wir im Osten sehen, ist in vielen Teilen des Westens auch schon zu erkennen.

Schließlich führen immer weniger Mitglieder aber dann zu einer Finanzkrise.

Die Finanzkrise

Die Finanzkrise ist hinterlistig. Sie schleicht sich an. Aber ausgebrochen ist sie noch nicht. Klar, schon heute steht längst nicht mehr in jedem Dorf eine Kirche, zu der auch ein Pastor gehört. Pastoren, die über sieben Dörfer tingeln ist auch bei uns Realität. Fusionen von Kirchen, um Geld zu sparen, gibt es in Hamburg mehr als genug.

Trotzdem: Es geht Kirche aktuell finanziell gut. Vor allem die gute wirtschaftliche Lage ist der Grund, dass der massive Mitgliederschwund sich finanziell immer noch nicht in dem Maße bemerkbar macht, wie es auf absehbare Zeit zu erwarten ist.

Warum das zu erwarten ist? Nun, zum einen ist es ein recht klarer Zusammenhang, der zwischen weniger Mitgliedern und weniger Einnahmen besteht. Aber nicht nur weniger Mitglieder führen in die Finanzkrise, auch die Überalterung der Mitglieder, die noch da sind. Schon heute sind nur 50% der Kirchenmitglieder auch Kirchensteuerzahler.

Also, wenn Kirche ehrlich wäre, dann würde sie feststellen: Auf mittelfristige Sicht ist Schicht im Schacht mit der Kirche, wie sie heute arbeitet. Diese flächendeckende Organisationsstruktur, die aus einer Zeit stammt, als „alle“ Christen waren, ist einfach nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wenn wir so weitermachen, dann sind wir irgendwann einfach pleite. Oder handlungsunfähig. Oder beides. Wir werden uns auch eine verbeamtete Mitarbeiterschaft nicht mehr in diesem Maße leisten können. By the way.

Und nun?

Eines ist mir wichtig: Dir aufzeigen, was aus meiner Sicht die wichtige Krise ist. Die Relevanzkrise. Wir müssen nicht bei der Finanzkrise oder der Mitgliederkrise ansetzen. Sondern am Inhalt.

Wir sind nicht mehr relevant für immer mehr Menschen. Sie verstehen nicht, welche Bedeutung Kirche für sie hat oder haben soll. Aber das ist unsere Aufgabe als Kirche. Denn hier geht es um unseren Inhalt. Wir müssen das, was wir „Frohe Botschaft“ nennen, an die Menschen da draußen bringen. Denn ich bin davon überzeugt, dass unser Inhalt relevant ist. Einzigartig ist.

Wir müssen uns aber auch etwas Zweites eingestehen: Inhalt gibt es immer nur in Formen. Ich will die Milch im Supermarkt nicht in meine Hände geschüttet bekommen. Ich brauche eine Form, um sie mit nach Hause nehmen zu können. Und auch unser Inhalt braucht Formen.

Der Inhalt braucht Formen, der unserer aktuellen Gesellschaft gerecht wird. D.h. nicht, dass die alten Formen schlecht sind. D.h. nicht, dass die neuen Formen für alle Zeiten, für alle Orte und für alle Menschen richtig sind.

Auch das wird – gerade von den Alteingesessenen –  immer wieder missverstanden. Sie fühlen sich und ihre Formen von Kirche angegriffen. Doch darum geht es nicht. Dickes Ausrufezeichen.

Es geht darum, dass wir als Kirche auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren und unseren Inhalt endlich endlich endlich in Formen an die Menschen da draußen bringen, die zu ihnen passen.

Und warum das alles?

Damit die Bedeutung unserer Botschaft deutlich wird. Wir gießen aktuell unsere großartige Botschaft in alte Formen, die keiner mehr kauft. Stell dir vor, Netflix hätte House of Cards produziert, aber es nur als VHS-Kassette rausgebracht. Eine tolle Serie, in einer Form, die heute eigentlich keiner mehr nutzt. Überhaupt: Ich glaube, dass wir als Kirche von Netflix eines lernen könnten: Inhalt wird nicht deshalb schlecht, weil man sich an den Gewohnheiten der Menschen orientiert.

Es wird Zeit, dass wir als Kirche etwas netflixiger werden. Es wird Zeit, dass wir den Menschen unsere Botschaft nicht länger fahrlässig vorenthalten. Unser Inhalt braucht neue Formen. Und eine neue Form könnte einfachkirche sind.

 

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1 Comment

  1. Unter Relevanz verstehe ich die Einflussmöglichkeit auf eine wählbare Handlungsalternative. Wenn ich mir die Bergpredigt ansehe, ist die so relevant wie eh und je. Die Kirche hat aber nicht mehr die sozialen oder sogar physischen Druckmittel wie früher, um ihre Mitglieder zu irgendetwas zu zwingen, sprich: sie hat weitaus weniger weltliche Macht. Und sie hat einen ganz schweren Stand bei naturwissenschaftlich-technisch ausgebildeten Menschen, weil sie auf Wundergeschichten nicht verzichten will und vielleicht auch nicht kann.

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