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Müssen wir einen Teil des Neuen Testaments streichen?

Bitte was? Jaja, du hast schon richtig gelesen! Ich frage mich: Müssen wir vielleicht einen Teil des Neuen Testaments streichen? Oder zumindest die Bedeutung einiger Teile für uns als Kirche und Christen heute streichen? #bittewas #neuestestament #heidenchristen #judenchristen #predigten #aufpaulusspuren

Nein, ich bin nicht betrunken. Sondern ganz bei Sinnen. Also zumindest im Normalzustand. Außer, dass ich eine Fritz Cola getrunken habe (vielviel Koffein!). Aber diese Frage treibt mich schon länger um und ich dachte mir: Warum nicht einfach mal dich und all die anderen Menschen da draußen fragen.

Also, worum es geht? Ich hole ganz kurz aus: Jesus war Jude. Das Christentum ist sozusagen aus dem Judentum entstanden. Und so gab es in den ersten Jahren und Jahrzehnten des Christentums sowas wie eine Zweiteilung der Christen. Die einen waren vorher Juden, die anderen kamen aus anderen Religionen oder waren sowas wie „nicht gläubig“. Meistens nennt man diese beiden Arten der ersten Christen Judenchristen und Heidenchristen.

In vielen Schriften des Neuen Testaments kann man z.B. erkennen, ob die Schrift eher für Judenchristen oder eher für Heidenchristen geschrieben wurde. Woran? Z.B. an den Problemen in den Gemeinden, den Themen der Briefe etc. Einen Judenchristen hat nämlich durchaus beschäftigt, wie es mit all den Dingen ist, die für ihn als Juden galten. Ein Heidenchrist (also jemand, der keinen jüdischen Background hatte) hatte solche Fragen nicht.

Es gab sogar richtig Ärger zwischen den ersten Christen, weil diese verschiedenen Hintergründe zu verschiedenen Ansichten und Meinungen geführt haben.

Biblische Texte haben verschiedene Zielgruppen

Was mir nun aber wichtig ist: Es gibt im Neuen Testament daher Texte, die sind (soweit wir das beurteilen können) vor allem oder vielleicht sogar allein an Judenchristen gerichtet. Andere (soweit wir auch das beurteilen können) vor allem oder vielleicht sogar allein an Heidenchristen.

Und nun ist doch die Frage: Was sind wir heute eigentlich? Ja, das war eine rhetorische Frage. Wir sind – zumindest die aller-allermeisten – Heidenchristen. Wir haben keinen jüdischen Background. Wir waren nicht erst Juden und sind dann Christen geworden.

Deshalb frage ich mich: Welche Botschaft wurde von den ersten Christen eigentlich an die Heiden verkündigt? Was wurde den Heidenchristen verkündigt?

Und gilt uns – also den heutigen Heidenchristen – überhaupt auch das, was den Judenchristen verkündigt wurde?

Oder darf man das gar nicht unterscheiden? Oder muss man das sogar unterscheiden?

Keine Beschneidung der Bibel, aber…

Natürlich, ich weiß, ich käme (vermutlich wortwörtlich) in Teufels Küche, wenn ich jetzt anfangen würde zu bestimmen, welche Teile der Bibel nicht mehr für uns gelten. Vermutlich würde ich auch nicht mehr als Pastor in meiner Landeskirche arbeiten dürfen. Deshalb ist das hier letztlich nur ein Gedankenspiel und die Frage in der Überschrift überspitzt formulieren. Aber…

Aber ich frage mich ernsthaft: Wurde den Heidenchristen eigentlich das Alte Testament „verkündigt“? Oder „nur“ Jesus? Was ist letztlich die Frohe Botschaft an die Heidenchristen?

Paulus schreibt in einem seiner Briefe:

Ich bin also von allen unabhängig und habe mich freiwillig selbst zum Diener für alle gemacht. Auf diese Weise will ich immer mehr Menschen gewinnen. Für die Juden lebe ich wie ein Jude. So will ich die Juden gewinnen. Für die, die das Gesetz befolgen, lebe ich wie jemand, der das Gesetz befolgt – und das, obwohl ich selbst nicht mehr dem Gesetz unterworfen bin. So will ich die gewinnen, die das Gesetz befolgen. Für die, die das Gesetz nicht kennen, lebe ich wie jemand, der das Gesetz nicht kennt – und das, obwohl ich keineswegs ohne das Gesetz Gottes lebe. Vielmehr lebe ich nach dem Gesetz von Christus. So will ich die gewinnen, die das Gesetz nicht kennen. Für die Schwachen bin ich selbst schwach geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Für alle bin ich alles geworden, um wenigstens einige zu retten. Das alles tue ich für die Gute Nachricht, damit ich selbst Anteil bekomme an dem, worum es in ihr geht. (1. Korinterbrief, Kapitel 9, Verse 20-22 nach Übersetzung der BasisBibel)

In diesem Sinne frage ich mich: Wenn Paulus allen alles geworden ist – müssen wir dann vielleicht mit unserer Botschaft auch allen alles werden?

Oder anders gefragt: Wenn Paulus den Juden ein Jude wurde und denen, die nicht unter dem Gesetz leben (die Heiden), einer, der nicht unter dem Gesetz lebt – hat er dann nicht vermutlich auch seine Botschaft angepasst? Unterschiedlich gepredigt und verkündigt?

Und wen haben wir heute in unseren Gottesdiensten und Gemeinden? Eher Judenchristen oder eher Heidenchristen? Jaja, schon wieder eine rhetorische Frage.

Ein Zusammenhang zur aktuellen kirchlichen Lage?

Es ist nur ein Gedanke – aber könnte es sein, dass viele Menschen mit unserer Botschaft oder unseren Predigten nichts anfangen können, weil wir den Heiden(christen) eine judenchristliche Botschaft vorsetzen?

Es ist eine offene und ernst gemeinte Frage. Ich beantworte sie selber nicht mit Ja oder Nein. Aber in mir nagt der Zweifel. Diese Frage. Ob wir vielleicht an vielen Menschen vorbeipredigen, weil wir Texte als Grundlage haben, die ursprünglich für Judenchristen gedacht waren und die mit uns – als Heidenchristen – herzlich wenig zu tun haben.

Paulus sagt, er wurde allen alles. Aber er wurde nicht den Juden ein Heide. Und nicht den Heiden ein Jude. Sondern er wurde jedem genau das, was ihm entsprach.

Und ich möchte zumindest anfragen, ob wir als Kirche und als Pastoren wirklich auf Paulus Spuren sind. Oder diese nicht schon lange verloren haben.

Ich bin gespannt auf deine Meinung!

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9 Comments

  1. Harry Gangnus says:

    Eine sehr spannende Ausführung. Ich würde das Ganze mal heilsgeschichtlich sehen, dann wird einiges klarer.

    1. juhopma says:

      Danke! Magst du das direkt mal ausführen? Würde mich sehr interessieren! 🙂

  2. Ich glaube nicht, dass der Unterschied zwischen judenchristlichem und heidenchristlichem Weltbild der wesentliche ist. Das Problem ist, dass das Weltbild der meisten Menschen in hier und heute durch Aufklärung, Wissenschaft & Technik und Demokratie geprägt ist, während die Bibel auf dem Hintergrund von magischen und feudalistischen Weltbildern entstanden ist. Ob wir den Menschen dabei mit heidenchristlich-magischen oder judenchristlich-magischen Vorstellungen kommen, ist im Vergleich dazu zweitrangig.

    In gewisser Weise vorweggenommen ist das in der Reaktion auf Paulus‘ Areopagrede. Griechenland war damals das wissenschaftliche Zentrum der westlichen Welt und Paulus ist es mit der Areopagrede, die eben nicht an ein Insiderpublikum ging, genauso gegangen wie vielen Predigern heute, die ihre Zuhörer nur in geringem Maße erreichen.

  3. Ich lese gerade die Bergpredigtauslegung von Klaus Wengst.

    Ich kann das nur sehr zur Lektüre empfehlen, da dort viele dieser Fragen äußerst detailreich und mit guter Exergese beantwortet werden.

    Eine der ganz wichtigen seiner Erkenntnisse ist die, dass für das erste Jahrhundert die Bezeichnung Christen oder Judenchristen ziemlich sinnlos ist.

    Die ersten Christen waren allesamt Juden, lebten aus der Schrift, aus dem AT, und hatten nicht im geringsten vor, das Christentum zu begründen.

    HIlfreich erscheinen mir auch die vielen sehr detailreichen Zitate innerhalb des Judentums bei Wengst, bei denen deutlich wird, dass das Christentum so gut wie nichts Neues gebracht hat und dass es nicht im Gegensatz zum Judentum, sondern nur aus dem Judentum heraus richtig verstanden werden kann.
    Und dass dieses Judentum eine sehr diskussionsfreudige Religion war, die man nicht auf einen mathematischen Punkt und „so ist sie“ festlegen kann. Und dass man viel davon lernen kann, eine Religion (und auch das Christentum) diskursiv und auch konfrontativ und vielfältig zu erleben, ohne immer wieder irgendwelche Kriterien aufzustellen, was denn nun die eigene oder die andere Relgion genau ist.

    Und wo ich richtig sauer werden kann (das hatte ich oben fast überlesen):

    „Das Problem ist, dass das Weltbild der meisten Menschen in hier und heute durch Aufklärung, Wissenschaft & Technik und Demokratie geprägt ist, während die Bibel auf dem Hintergrund von magischen und feudalistischen Weltbildern entstanden ist.“

    Was für ein himmelschreiendes Vorurteil!

    Die Juden treffen in der babylonischen Verbannung auf eine Kultur, der wir den 360-Grad-Winkel verdanken, die in Keilschriftform geometrische Figuren beschreiben konnte, anhand denen Planentengeschwindigkeiten abgelesen werden konnten. Die konnten ohne GPS und Raumfahrt Planetenbahnen messen und beschreiben! Und wer das erste Kapitel der Bibel sorgfältig liest, könnte merken, wie es sich mit dem Widerspruch von Astrologie und Astronomie in dieser Gesellschaft auseinandersetzt und auch drüber lustig macht.
    (Tipp: Warum werden die Götterbezeichnungen „Sonne“ und „Mond“ vermieden und diese als die „große Laterne und das kleine Licht“ am Himmel bezeichnet, wo sich doch der babylonische König trotz des Standes der Wissenschaft damals als Ebenbild von Gott Sonne ansah?)

    Und dann komm mal 2018 in die Eifel und lass Dich in unserer modernen und von Wissenschaftsaberglauben (Ich sage nur „Hallo Mosanto“) geprägten Welt über Hexen und Gesundbeterinnen und Aberglauben aufklären.

    Ich behaupte: An dieser Stelle sind wir 2018 keinen Zentimeter weiter als die Menschen damals in Babylon. Und die Lösungen im Blick auf Gott und Welt sind in der Welt der Bibelautoren häufig moderner und präziser als es den meisten Menschen klar ist, die sich nicht entblöden, die Bibel als ein Werk von dummen Ziegenhirten abzuqualifizieren.
    (Was ich Dir nun ausdrücklich nicht vorwerfen möchte.)

    1. juhopma says:

      Vielen Dank für deine ausführliche Antwort!
      Habe das Buch mal auf meine to read Liste gesetzt 🙂

  4. „Und wo ich richtig sauer werden kann (das hatte ich oben fast überlesen):
    „Das Problem ist, dass das Weltbild der meisten Menschen in hier und heute durch Aufklärung, Wissenschaft & Technik und Demokratie geprägt ist, während die Bibel auf dem Hintergrund von magischen und feudalistischen Weltbildern entstanden ist.“
    Was für ein himmelschreiendes Vorurteil!“
    Ich verstehe nicht, wieso Du Dich darüber so aufregst. Dass die Babylonier gute mathematische Ansätze hatten, ändert doch nichts daran, dass sie sie letztlich zu astrologischen Zwecken verwendet haben. Und Astrologie ist Ausdruck eines magischen Weltbildes. Damals haben sich viele Herrscher durch angeblichen Kontakt und Zusammenhang mit dem erhabenen Weltall aufgewertet. Auch in der Bibel gibt es ja die Episode mit dem Stern von Bethlehem.

    Heute würde sich ein Bundeskanzler oder Präsident zum Narren machen, wenn er Astrologie als Entscheidungsgrundlage anzuführen versuchte. Dass manche sich wissenschaftlich gebende Gefälligkeitsgutachten (Trump u.a./Klimawandel) auch nicht mehr wert sind als Horoskope, steht dabei auf einem ganz anderen Blatt. Immerhin erkennen sie ein wissenschaftliches Weltbild an.

    Bei Kirche und Theologen sehe ich genau das als unklar an. Meinem Eindruck nach wird selbst bis in theologisch liberale Kreise die Existenz von ausnahmefreien Regelmäßigkeiten in der Natur nicht in letzter Konsequenz anerkannt. Ich sehe ja auch, dass das schwierig ist, wenn man ur-magische Vorstellung ins Stammbuch geschrieben bekommen hat wie die, dass der gewaltsame Tod eines einzigen Mannes die Sünden aller Gläubigen bis heute gesühnt haben soll.

    Dieser Konflikt hat sich ja bereits zu urchristlichen Zeiten angedeutet: „den Juden eine Lästerung, den Heiden eine Torheit“. Die hier als Heiden bezeichneten Griechen repräsentieren für mich hier wie auch in der oben erwähnten Areopagrede ein Stück weit unser modernes Weltbild.

    Ich schreibe das nicht aus einer außerkirchlichen Perspektive, sondern als jemand, der trotz Mitgliedschaft und musikalischer Mitarbeit in der Kirche als Wirtschaftsingenieur ideologisch immer mit einem Bein draußen war. Die Existenz von Naturgesetzen ist für mich professionelle Grundlage und mit einem Glauben, der Magieelemente enthält, befände ich mich im Selbstwiderspruch. Seit ich da vor jetzt sechs Jahren für mich selbst einige Dinge klar bekommen habe und wieder häufiger zur Kirche gehe, nehme ich diese Konfliktlinie umso schärfer wahr.

    1. Kathrin says:

      Für den gläubigen Menschen steht Gott am Anfang, für den Wissenschaftler am Ende aller seiner Überlegungen: – Max Planck

  5. PapaJoe says:

    Dieser Blogeintrag gefällt mir

    1. Dieser Kommentar gefällt mir 😉

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