Ich habe das Feedback erhalten, dass ich in meiner Arbeit als Pastor „oft als Solist“ unterwegs wäre. Und ich weiß, dass gar nicht so wenige mich und meine Art zu arbeiten kritisch sehen. Deshalb folgt eine Erklärung, warum ich ganz bewusst in Teilen kein Teamplayer bin. Und was das mit meiner Hoffnung für die Zukunft von Kirchengemeinden zu tun hat.
Viele Menschen finden die Art und Weise wie ich Pastor bin gut. Vielen Menschen gefällt, wie ich Gemeinde denke und gestalte. Ich werde regelmäßig deutschlandweit für (meist digitale) Vorträge und Workshops eingeladen. Ich darf dann erzählen, wie wir in der Auferstehungskirche Hamburg-Lohbrügge arbeiten, welche Konzepte wir hier nutzen, was aus meiner Sicht sinnvoll ist, wenn wir „erfolgreich“ Gemeinde sein wollen.
Aber: es gibt auch eine Kehrseite. Ich werde durchaus regelmäßig kritisiert. Auch von mir vorgesetzten Personen und Kolleg:innen. Ein Feedback begegnet mir dabei immer wieder und es wurde vor kurzem mir in schriftlicher Form sehr kompakt vorgeworfen. Es fing als Dank an für meine Aufbrüche in neue Horizonte, endete aber mit dem Nachsatz „wenn auch oft als Solist“.
Ich kenne diesen Vorwurf durchaus. Und ich möchte dir erklären, was daran richtig ist, aber warum ich diesen Weg auch ganz bewusst einschlage.
Also: ich bin der einzige Pastor der Auferstehungskirche Hamburg-Lohbrügge. Wir sind eine Einzelgemeinde. Eine Kirche. Eine Gemeinde. Ein Pastor. Wir arbeiten nicht regional zusammen, sondern wir versuchen sozusagen möglichst gute Arbeit hier an unserem Standort zu machen.
Es ist aus finanziellen Gründen immer schwieriger so Gemeinde zu gestalten. Die klassische landeskirchliche Entwicklung sieht so aus, dass Gemeinden fusionieren, sich regional zusammenschließen… wo es früher vielleicht 4 Gemeinden, 4 Standorte und 4 Pastor:innen gab, ist es heute eine Gemeinde mit zwei Standorten und wenn es gut läuft noch zwei Pastor:innen.
Kurz gesagt: unser bisheriges System wie wir Kirche und Gemeinden denken ist im Großen und Ganzen nicht mehr finanzierbar. Die häufigste (vermeintliche) Lösung besteht darin zu skalieren. Also nicht das System an sich verändern, sondern eben genau das zu tun, was ich oben beschrieben habe. Aus 4 Gemeinden, Standorten, Pastor:innen wird dann eben eine Gemeinde mit weniger Standorten und weniger Pastor:innen.
Der Punkt ist: das hilft zwar teilweise kurzfristig das finanzielle Problem zu lösen – es ändert aber gar nichts daran, WARUM wir die Probleme haben.
Vereinfacht erklärt: Wenn ein Autohersteller von Jahr zu Jahr weniger Autos verkauft, dann kann er natürlich einfach beschließen: gut, dann produzieren wir jetzt weniger Autos, wir schließen ein paar Autohäuser, haben auch weniger Angestellte – und dann haut das finanziell alles wieder hin. Der Autohersteller kann so auch „skalieren“. Problem an der Sache: der Autohersteller reagiert so ja gar nicht darauf, WARUM weniger Autos verkauft werden.
Oder: Wenn ich Kopfschmerzen habe, dann kann ich jeden Tag eine Schmerztablette nehmen – ja, dann habe ich bestenfalls keine Schmerzen mehr. Aber ich habe halt überhaupt nicht den Grund der Schmerzen angegangen.
Lange Reder kurzer Sinn: das „Skalieren“ was wir in Kirche tun, ist aus meiner Sicht einfach keine (gute) Lösung für unsere Probleme. Deshalb halte ich persönlich nichts von „Regionalisierungen“ und Fusionen von Gemeinden. Stattdessen versuche ich mich darauf zu konzentrieren meine Arbeitszeit in eine gute, einladende, „erfolgreiche“ Gemeindearbeit vor Ort zu investieren.
Du kannst es dir sicherlich schon denken: das kommt nicht überall gut an. Auf jeden Fall nicht bei vielen Kolleg:innen in der direkten Umgebung und auch nicht bei den Vorgesetzten, die die Skalierung für den richtigen Weg halten.
Daher kommt der Vorwurf, ich sei oft nur als Solist unterwegs.
Was für mich jetzt der wichtigste Punkt ist: Wer mich als Solist empfindet, der sieht aus einer ganz bestimmten Perspektive auf mich. Nämlich auf „pastoraler“ bzw. kirchlich-organistorischer Ebene. Weil ich nicht an Skalierungsarbeiten mitarbeite, wirkt es von dieser Seite so, als würde ich mich als Teamplayer verschließen und lieber mein eigenes Ding machen.
Ich verstehe, dass das von dieser Perspektive her so aussieht.
Was dabei jedoch völlig übersehen wird: auf anderer Ebene bin ich ein sehr großer Teamplayer – nämlich wenn es um das Team der Mitarbeiter:innen hier vor Ort in der Auferstehungskirche Hamburg-Lohbrügge geht.
Damit meine ich: die Gemeinde hier vor Ort gehört vermutlich zu den lebendigsten und sich am besten entwickelnden Gemeinden in der Nordkirche. Und das liegt nicht daran, weil ich irgendwie so toll bin, sondern das liegt vor allem daran, dass wir hier so ein großartiges Team an Mitarbeiter:innen haben.
Für dieses Team möchte ich da sein. Für die Mitarbeiter:innen hier vor Ort möchte ich ein möglichst guter Teamplayer sein. Weil ich glaube, dass das ein viel besseres Konzept für die Zukunft von Kirchengemeinden ist, als diese Skalierungsversuche.
Ganz konkrete Beispiele: ich bin im letzten Jahr für rund 4 Monate und dieses Jahr nochmal für 2,5 Monate in Elternzeit. Und die Gemeinde fängt das einfach komplett auf. Die Gottesdienste werden von Menschen aus der Gemeinde übernommen, alle Aufgaben von mir sind im Team verteilt, meine Abwesenheit ist keine „Durststrecke“ für die Gemeinde, sondern ganz im Gegenteil!
Oder aktuelles Beispiel: ich habe Anfang des Jahres meine Mutter verloren. Und ich war einfach von jetzt auf gleich nur noch sehr bedingt arbeitsfähig. Ich bin es immer noch nur eingeschränkt. Innerhalb kürzester Zeit haben unfassbar großartige Menschen in der Gemeinde alles um mich herum organisiert, Aufgaben aufgefangen – nein: mich haben sie aufgefangen. Ich musste nicht einmal fragen – die Gemeinde war in der Lage in kürzester Zeit auf den Modus „ohne Jonas“ umzuschalten.
Ganz ehrlich: wir müssen weg von Gemeinden, die nur mit Pastor:in gedacht werden. Wir Pastor:innen sind faktisch zu teuer und es gibt zu wenig von uns. Wenn wir Kirchengemeinden immer nur weiter im bisherigen System denken und entsprechend skalieren, dann ist das einfach keine Lösung für unsere Probleme. Bestenfalls ist es nur eine Verschleppung. Der Autohändler schließt vielleicht im ersten Jahr 10% seiner Autohäuser, dann im nächsten Jahr wieder 10%… das kann er immer weiter machen. Aber wenn er sich nicht überlegt, wie er wieder mehr Autos verkaufen kann, dann wird es früher oder später vermutlich sein Ende sein.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Kirchengemeinden Zukunft haben. Ich erlebe, dass sehr viel mehr Menschen Interesse an Gottesdienstbesuchen haben, als es der durchschnittliche Besuch der klassischen Gottesdienste annehmen lässt. Ich erfahre hier vor Ort, dass Gemeinde sehr wohl und sehr gut – mindestens teilweise und auf Zeit, aber das ist ja ein guter Anfang – auch ohne Pastor:in funktionieren kann.
Deshalb entscheide ich mich bewusst an manchen Stellen gegen eine Zusammenarbeit. Und wirke dann vielleicht wie ein Solist. Aber ich tue es, damit ich auf anderer Ebene mit aller Kraft und möglichst viel Zeit in die Form von Gemeinde zu investieren, die aus meiner Sicht Zukunft hat.