Lesen

Kirchenultras & Erfolgsfans – Was Kirchen vom HSV lernen können

Ich glaube: Fußballvereine und Kirchen haben mit Blick auf ihre Fans bzw. Mitglieder große Ähnlichkeiten. Es gibt alles von Ultras bis Erfolgsfans. Dabei können Kirchen im Umgang mit ihren Mitgliedern einiges von den Vereinen lernen!

Ich bin „schon immer“ HSV-Fan. Allerdings noch nie mit der allergrößten Leidenschaft. Wenn ich im Stadion bin, dann sitze ich gerne. Als der HSV vor Ewigkeiten mal in der Champions League war, da war ich bei allen Spielen dabei. Ehrlich gesagt gucke ich lieber Spiele vom FC Liverpool als vom HSV, einfach weil das für mich das attraktivere Spiel ist.

Ich bin HSV-Fan, weil ich aus Hamburg komme und weil wir bei uns in der Familie alle HSV-Fan sind. Ich war sogar beim letzten Spiel in der ersten Bundesliga dabei, also bei dem Spiel, als der HSV das erste Mal abgestiegen ist. Das war traurig, aber meine Welt ist jetzt nicht zusammengebrochen.

Ich bin eine Mischung aus „Erfolgsfan“ und „Schon-immer-HSV-Fan“.

Vor einigen Jahren hat mich der Fußball insgesamt ein wenig verloren und ich schaue sehr viel lieber und sehr viel mehr NFL-Football inzwischen. Wenn ich heute mal ins Stadion gehe, dann aus sozialen Gründen, also z.B. weil Freunde mich fragen. Die Spiele finde ich meistens nicht so spannend, ich finde nicht, dass der HSV besonders ansehnlich spielt. Aber ja, ich würde vermutlich häufiger ins Stadion gehen oder mich mehr für den HSV interessieren, wenn sie jetzt z.B. wieder aufsteigen würden.

Ich bin irgendwie eine Mischung aus „Erfolgsfan“ und „Schon-immer-HSV-Fan“. Meine Brüder sind in den letzten Jahren aber zu so „richtigen Fans“ geworden. Sie haben sogar einen Fanclub gegründet und waren diese Saison glaube ich sogar bei fast allen Auswärtsspielen. Unter anderem mit meinen Brüdern war ich vor kurzem beim Spiel Kaiserslautern gegen den HSV. In Kaiserslautern.

Wenn ich sonst im Stadion bin, dann sitze ich irgendwo oben ganz entspannt. Ich war auch schon mal im Stehplatzbereich beim HSV, aber jetzt in Kaiserslautern war ich das erste Mal mit den „richtigen Fans“ im Gästeblock. Da wurde die gesamte Zeit gesungen, die Pyro war direkt hinter mir, die Aggressionen der Fans untereinander hautnah zu spüren – das war einfach insgesamt für mich ein völlig neues Erlebnis.

Es ist mit den Kirchen wie mit Fußballvereinen

Und da habe ich festgestellt: Es ist mit den Kirchen ein wenig wie mit dem HSV. Bzw.: wie mit Fußballvereinen. Was ich damit meine, das kommt jetzt.

  • Die treuesten HSV-Fans sind erstaunlich wenig am Spiel selbst interessiert.
    Meine Brüder meinten auch zu mir, dass sie oft nach dem Spiel erstmal die Zusammenfassung gucken, weil sie vom Spiel nicht so viel mitbekommen haben. Für mich war das aber echt irritierend: ich stand da im Gästeblock und wollte bitte einfach das Spiel sehen, so wie eben sonst auch im Sitzplatzbereich. Naja, aber streng genommen ging es um das Spiel gar nicht so sehr für die anderen im Gästeblock.
  • Die treuesten HSV-Fans waren mehr mit sich als mit dem Spiel beschäftigt.
    Es wurde eigentlich durchgehend gesungen. Das hatte aber gar keinen Bezug aufs Spiel. Da wurden Lieder gesungen und durchgezogen, relativ egal, was auf dem Platz geschehen ist.
    Es gab auch Konflikte im Block und die waren dann auch erstmal wichtiger, als das Spiel.
  • Die treuesten HSV-Fans kommen aus sozialen Gründen
    Das ist meine Interpretation, aber auch aus den Gesprächen mit meinen Brüdern bzw. aus dem, wie ich ihre „Fan-Gruppe“ erlebt habe: ey, die mögen sich! Die schätzen sich – das Spiel hatte eine hohe soziale Funktion, glaube ich.
    Soweit ich das sehen konnte, waren die meisten in kleineren Gruppen da und ich hatte das Gefühl: es gab zwar Stress zwischen Gruppen oder Einzelnen aus Gruppen, aber innerhalb der Gruppe hat man sehr auf sich aufgepasst.

Also kurzgefasst war ich erstaunt, dass die „richtigen Fans“ aus meiner Sicht eigentlich das Spiel mehr als Funktion nutzten. Natürlich ist ihnen nicht egal, wie der HSV spielt. Aber die soziale Ebene ist dafür egal. Und gesungen wird auch so oder so. Und Pyro gibt es auch so oder so.

Und wenn ich dann diese „echten Fans“ mit Fans wie mir vergleiche: ich singe nur, wenn es was zu feiern gibt. Ich klatsche, wenn eine Aktion gut war. Ich stehe auf, wenn es spannend wird. Ich bin eher im Stadion, wenn es warm ist. Wenn der HSV gut spielt. Aber ja, auch bei mir gibt es diese soziale Ebene.

Insgesamt würde ich sagen: da kommen Menschen aus sehr unterschiedlichen Gründen zum HSV. Der absolute Großteil sind Fans wie ich oder ähnlich wie ich. Die deutliche Minderheit sind Fans wie meine Brüder.

Gleichzeitig wäre so ein Spiel bzw. ein Stadion ganz schön „tot“, wenn es nicht diese treuen Fans in der Minderheit gäbe. Ganz ehrlich: mit Leuten wie mir kommt kaum Stimmung ins Stadion. Und erst recht käme keine Unterstützung für Mannschaft zustande, selbst wenn das Spiel schlecht läuft.

Die meisten Fans kommen nur ab und zu

Also: Die meisten Fans kommen ab und zu. Die meisten Fans kommen, wenn die Mannschaft erfolgreicher ist. Die meisten Fans kommen, weil sie das Spiel wirklich sehen wollen. Aber den meisten Fans würde am Stadion-Erlebnis etwas fehlen, wenn die treuen Fans in der Minderheit nicht dabei wären.

Im Stadion sind also letztlich immer Fans aus verschiedenen Gründen.

Die treuen Fans (meine Brüder) brauchen Fans wie mich glaube ich nicht wirklich.

Fans wie ich brauchen Fans wie meine Brüder, sonst wäre unser Erlebnis im Stadion schlechter.

Die Spieler auf dem Feld? Gute Frage! Ich vermute, sie brauchen beide Fans. Die mit der Stimmung und die, die das Stadion füllen.

Und für den Verein gilt das glaube ich auch immer. Ein Verein braucht beide „Fan-Arten“. Die treuen und die, die das Stadion füllen. Das meine ich jetzt vor allem auf finanzieller Ebene. Ich glaube nicht, dass man mit den treuen Fans im Stehplatz-Bereich viel Geld macht. Sondern vermutlich mit dem großen Rest und da dann noch vor allem mit denen, die auf den bequemsten Stühlen sitzen wollen.

Ich bin mir relativ sicher, dass für den HSV gilt: beide (oder: alle) Fangruppen sind wichtig. Für den Verein, die Spieler, das Stadionerlebnis

Was können wir als Kirchen davon lernen?

  • Auch wir haben verschiedene „Fans“ (Mitglieder)
    Wir haben „Ultras“, die kommen jeden Sonntag in den Gottesdienst. Wir haben Leute, die kommen ab und zu.
  • Beide Gruppen sind wichtig
    Auch bei uns machen die „treuen Fans“ oft die Stimmung (singen laut mit). Aber auch bei uns wird der Laden allein mit ihnen nicht voll.
  • Wenige engagieren sich, die meisten konsumieren
    Beim HSV engagieren sich die treuen Fans sehr stark – und die allermeisten Fans engagieren sich gar nicht. Sie konsumieren nur. Das ist aber kein Mangel, kein Fehler, das ist am Ende sogar in Teilen notwendig:
  • Die Vielen sind finanziell wichtiger
    Auch bei uns gilt, dass wir mit den wenigen treuen Fans uns nicht finanzieren können. Aber die Masse hilft auf andere Weise: mit Geld. Sie engagiert sich vielleicht nicht, sich singt nicht laut mit – aber sie kommt, macht das Stadion voll und zahlt dafür gerne.
  • Ultras dürfen nicht zu viel Macht erhalten
    Ich könnte auch sagen: wenn wir uns nur auf den „inneren Kern“ konzentrieren, auf unsere „Kirchen-Ultras“, dann ist das ein Weg aufs Abstellgleis. Ein Verein, der sich zu stark von seine Ultras sagen lässt, was er zu tun hat, ist kein erfolgreicher Verein (habe ich mir sagen lassen ;-)).
  • Ultras dürfen nicht vergessen werden
    Aber gleichzeitig dürfen diese treuen Fans auch nicht ignoriert, vergessen oder verdrängt werden. Wir brauchen sie mindestens für die Stimmung und für das Engagement.

Der richtige Umgang mit Kirchenultras entscheidet über die Zukunft unserer Kirchen

Ja, ich glaube, dass das eine der entscheidenden Fragen aktuell für unsere Kirchen ist. Wie gehen wir mit unseren Kirchen-Ultras um? Wieviel Macht geben wir ihnen und wie viel Wertschätzung schenken wir ihnen noch?

Der HSV lebt im Luxus, dass das Stadion fast immer voll ist. Das ist aber nicht die Realität aller Vereine. Ich glaube, dass der HSV in dieser Hinsicht vieles richtig macht. Was genau, das weiß ich nicht. Vielleicht haben sie auch nur Glück. Aber im Ergebnis steht ein volles Stadion, obwohl die Mannschaft weder besonders attraktiv, noch besonders erfolgreich spielt.

Wir Kirchen spielen meistens auch nicht besonders attraktiv, wir steigen von Jahr zu Jahr irgendwie weiter ab – und bei uns gibt es keine vollen Stadien, sondern immer leerere Kirchen.

Was bleibt, sind oft unsere Ultras. Die, die „schon immer“ da waren. Die, die sogar Auswärtsfahrten mitmachen würden. Die, für die aber auch gilt, dass sie sich (so meine Unterstellung) erstaunlich oft erstaunlich wenig für das „Spiel“ interessieren (was auch immer das Spiel bei uns in Kirchen dann ist, vielleicht der Gottesdienst?) und die in den meisten Fällen vor allem mit sich selbst beschäftigt sind und zu großen Teilen (noch) aus sozialen Gründen kommen.

Wir müssen als Kirchen vom HSV lernen, dass es nicht darum geht nur unsere Ultras glücklich zu machen.

Ich behaupte (und bin mir da ziemlich sicher): wir müssen als Kirchen vom HSV lernen, dass es nicht darum geht nur unsere Ultras glücklich zu machen. Wir wollen ein volles Stadion! Und das bekommen wir nicht voll, wenn wir uns zu sehr von ihnen diktieren lassen, wo es lang geht, was wir anbieten, etc.

Ob wir nun einen Familienblock oder Business-Seats anbieten müssen? Im übertragenen Sinne: ja! Wir müssen uns aber vor allem klar machen:

  • die Kirchen waren noch nie nur mit Kirchen-Ultras voll
  • Es ist kein defizitärer Stadionbesuch, wenn man nur ab und zu kommt
  • Ganz im Gegenteil: wir sind auf diese Mehrheit der Menschen angewiesen, die nicht jede Woche dabei sind
  • Und deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir vorrangig die Menschen erreichen, die wie ich für den HSV sind

Damit meine ich:

Was kann der HSV tun, dass ich nicht nur höchstens einmal im Jahr ins Stadion komme? 

  • Es hilft, wenn das Spiel attraktiv ist (sagen wir: wenn der Gottesdienst „gut“ ist)
  • Es hilft, wenn das Stadion einladend ist (sagen wir: Plätze in Ordnung, Gebäude im guten Zustand)
  • Es hilft, wenn ich medial eingeladen werden (sagen wir: ich sehe Werbung, erhalte Werbung)
  • Es hilft, wenn mich andere Menschen einladen, wie z.B. meine Brüder mich oder Freunde mich gefragt haben (sagen wir: andere Kirchenfans fragen mich)

Das ist jetzt alles hier fragmentarisch. Ganz ehrlich: es ist nur ein Blog-Beitrag. Ich schreibe so „runter“ und sicherlich ist vieles falsch oder nicht ausreichend oder nicht zu Ende gedacht.

Deshalb: versteh das hier bestenfalls als Gedankenanstoß. Oder einfach nur als eine „witzige“ Auffälligkeit zwischen dem HSV und Kirchen.

Wenn dir noch mehr Parallelen einfallen, wenn dir noch mehr einfällt, was die Kirchen vom HSV (und umgekehrt) lernen könnten: dann freue ich mich über dein Feedback!

 

 

 

 

Du möchtest keinen Beitrag auf juhopma.de verpassen?
Dann schnell zum Newsletter anmelden!

Vielleicht gefällt dir auch...

Popular Articles...

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert