Empfehlung Lesen

Hauptsache die Orgel fühlt sich wohl!

Neulich im Predigerseminar gelernt: Kirchen sollen maximal 16 Grad „warm“ werden. Warum? Damit es der Orgel gut geht. Und wenn es den Menschen zu kalt ist? Dann sollen die sich eben warm anziehen. Das würden die Menschen schon verstehen. Tja, wir setzen in Kirche auf jeden Fall die richtigen Prioritäten. Hauptsache die Orgel fühlt sich wohl.

Gleich vorweg: Das war eine harte Woche. Verwaltungskurs oder so hieß das. Jeden Tag ein neues, „spannendes“ Thema. Haushalt und Finanzen. Buchhaltung. Bauwesen. Arbeitsrecht. Personalwesen. Kirchengemeindeordnung… ja, ich bin mir sicher, dass da auch dir schon jetzt das Wasser im Munde zusammen läuft.

Alles natürlich unglaublich spannend. Aber das Umwerfendste war eindeutig das Bauwesen. Denn daran wurde in direktester Form deutlich, wo wir als Kirche gerne unsere Schwerpunkte setzen. Wir als Kirche… naja, das muss ich gleich nochmal genauer ausführen.

Die Orgel und die 16 Grad

Relativ zu Beginn ging es um die Orgel. Und unsere Gebäude. Und dass es vom Landeskirchenamt die Empfehlung gibt, dass Kirchen nicht wärmer als 16 Grad sein sollten. Warum? Weil sich die Orgel sonst nicht wohl fühlt. Liegt wohl weniger an der Wärme, als an der Luftfeuchtigkeit. So ganz verstanden habe ich es nicht.

Als ich nachfragte, ob ich jetzt wirklich mich mehr um meine Orgel als um meine Gäste (also Menschen) in der Kirche kümmern solle, kam die grandiose Antwort: Menschen können sich warm anziehen. Die Orgel nicht.

Ich habe jetzt also vom Bauwesen-Menschen aus dem Landeskirchenamt die Empfehlung, meine Kirche auf 16 Grad maximal zu heizen. Dazu muss man sagen: Das ist gut gemeint. Aus finanzieller Sicht. Denn tatsächlich schimmeln uns viele Orgeln weg. Und es kostet schnell einen höheren fünfstelligen Betrag, um die Orgeln dann wieder herzurichten.

Doof gesagt: Im schlimmsten Fall haben wir höhere Heizkosten (weil wir über 16 Grad heizen) und dann auch noch enorme Kosten, weil die Orgel bei den warmen Temperaturen verschimmelt ist. Von daher: Das ist kein „dummer“ Tip mit den 16 Grad.

Wie setzen wir die Prioritäten?

Allein… die Prioritätensetzung finde ich bedenklich. Denn… wenn ich es so mache, wie vom Landeskirchenamt empfohlen, dann spare ich a) Heizkosten und b) Orgelsanierungen aber dafür habe ich jetzt eben c) eine kalte Kirche.

Ich habe nachgefragt, ob sich der Dozent vorstellen könne, dass die Staatsoper oder die Elbphilharmonie ähnlich verfahren würde. Die „Elphi“ ist ja gerade erst teuer gebaut worden, da ist auch eine Orgel drin… könnten ja ähnliche Bedingungen sein. Wie wäre das, wenn nun die „Elphi“ alle Gäste bitten würde, Mäntel und Co anzulassen – ja vielleicht stünde auf den Tickets sogar schon drauf „Bitte warm anziehen“.

Das ist ein völlig absurder und dämlicher Gedanke. Der Bauwesen-Mensch konnte darauf nur sagen, dass er auch nicht wisse, wie die Elbphilharmonie das mit ihrer Orgel hinbekäme.

Mensch vor Orgel? Undenkbar!

Ich hätte da so eine Idee: In der Elbphilharmonie steht an erster Stelle der Mensch. Der Gast. Der Zuschauer. Die Gastfreundlichkeit. Und keine Orgel.

Ernsthaft: Wir beklagen uns über weniger Menschen in unseren Gottesdiensten. Und dann bringt man mir im Predigerseminar bei, dass ich den Leuten erklären soll, dass sie leider frieren müssen, weil sonst unsere Orgel schwitzt?

Natürlich habe ich mich gleich erkundigt, ob man dann die Orgel nicht rauswerfen könne (oh welch ketzerischer Gedanke!). Bzw. genaugenommen fragte schon jemand anderes, warum man dann nicht eine elektronische Orgel nehmen könne (die hat keine Schimmelprobleme…).

Tja… das war zu leicht gedacht. Denn – so wurde uns erzählt – leider gibt es eine kircheninterne Vorschrift, dass in der Kirche – die eine Orgel hat – die erste Orgel eine Pfeifenorgel sein muss.

Auf die Orgel kannste pfeifen? Nix da!

Fun Fact am Rande: Wenn eine Kirche keine Orgel besitzt, dann muss sie auch keine Orgel haben. Aber wenn in einer Kirche eine Orgel ist, dann muss es somit auch eine Pfeifenorgel geben. Das wirft total skurile Gedankenspiele auf: Wenn eine Kirche keine Orgel hat – kann sie sich dann überhaupt eine elektronische anschaffen? Denn dann hätte sie ja eine Orgel und diese müsste eine Pfeifenorgel sein. Wenn eine Kirche nun aber eine Orgel hat, dann wird sie die auch partout offensichtlich nicht los. Sie könnte sich maximal dann eine elektronische zusätzlich anschaffen.

Das heißt – um zum Eigentlichen zurückzukommen -, dass nur Kirchen, die keine Orgel besitzen, auch ganz offiziell wärmer als 16 Grad heizen dürfen.

Irgendwie eine lustige Kombination: Entweder Orgel und kalt. Oder keine Orgel und warm. Ob das alles so durchdacht ist?

Kommt raus ihr Revoluzzer!

Nun gut. Im Bauwesen des Landeskirchenamtes scheinen also Zahlen, Gelder, Gebäude und Orgeln an höchster Priorität zu stehen. Ein Glück dürfen Kirchengemeinden eigene Wege gehen. Und – ihr Revoluzzer! – auch mal heimlich die Heizung hochdrehen.

Vielleicht ist das auch ein guter Test, um die Prioritätensetzung von Gemeinden gleich direkt einschätzen zu können. Zum nächsten Gottesdienstbesuch empfehle ich die Mitnahme eines Thermometers. Und dann könnt ihr ganz einfach herausfinden, was für eine Gemeinde das ist.

Mit Thermometer in den Gottesdienst

a) Es sind 16 Grad
Diese Gemeinde hält sich an alle Vorschriften. Solange die Vorschriften des Landeskirchenamtes eingehalten werden, wird alles gut. Du als Gast bist nicht so wichtig. Dafür wird man dich auch nicht für Spenden für die Orgelsanierung anbetteln.

b) Es sind mehr als 16 Grad
Diese Gemeinde lebt in der Revolution! Orgelschimmel wird in Kauf genommen. Das könnte bedeuten, dass die Gemeinde demnächst finanzielle Probleme bekommt oder dir einen Spendenbrief schreibt. Dafür bekommst du keine Erkältung und bist herzlich willkommen.

c) Es sind weniger als 16 Grad
Vermutlich ist die Heizung defekt oder es steht finanziell richtig schlecht um die Gemeinde. Lieber Abstand halten, die Situation wirkt nicht unter Kontrolle. Vermutlich hält das Auswärtige Amt auch eine Besuchswarnung bereit.

Niemand hat die Absicht Orgeln verschimmeln zu lassen

Nein im Ernst: Ich kenne genug Gemeinden, in denen es wärmer als 16 Grad ist. Vielleicht gibt es auch gute Möglichkeiten, wie Raumentfeuchter oder was auch immer. Und natürlich hat niemand die Absicht, Orgeln verschimmeln zu lassen.

Trotzdem. Ich werde in „meiner“ ersten Gemeinde als ersten Akt die Heizungen aufdrehen. Ich möchte mich da lieber an der Elbphilharmonie als am Landeskirchenamt halten. Denn ich freue mich, wenn Gäste in „meine“ Gemeinde kommen. Und das zeige ich gerne auch mit angenehmen und einladenden Temperaturen.

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12 Comments

  1. Britta says:

    Kann mich deiner Meinung nur anschließen, nach dem ich gerade heute im Hamburger Michel einen sehr „frischen “ Gottesdienst erlebt habe. Ich bin kein Orgelfan, aber die Orgelmusik dort heute war klasse. Sollte es im Jahr 2018 technisch nicht möglich sein das Orgel und ich uns beide wohlfühlen? Ich möchte mich in Gottes Haus zu Hause fühlen und meine Jacke ausziehen können und mich nicht wie auf dem Bahnhof auf der Durchreise fühlen. Also innovative Techniker und Ingenieure findet eine Lösung! Jede schon verschimmelte Orgel sollte nicht aufwendig restauriert werden , sondern gegen eine elektronische Orgel ausgetauscht werden.

    1. juhopma says:

      Sehr gute Idee! Aber das mit dem Orgel-Austausch ist halt – angeblich – kirchenrechtlich nicht drin 🙁

      1. Britta says:

        Nachtrag: Beim anschließenden Besuch im Museum für Hamburgische Geschichte war das Klima vergleichbar. Fazit: Die Orgel gehört ins Museum oder die Kirche wird nur noch als Museum gesehen

  2. Sieglinde Schoettle says:

    Hallo, dieser Artikel spricht mir total aus dem Herzen, musste oft schmunzeln. Ich bin Mesnerin in einer württembergischen Landeskirche, kenne diese Problematik mit der Orgel und den 16 Grad. Bei uns ist es meistens einwenig wärmer, denn sonst heizt man bald die leere Kirche, weil keiner mehr kommt. Mache dir Mut deinen Weg zu gehen,die Menschen der Gemeinde zusehen.
    Gottes Segen dir.

  3. Heute war bei uns Neujahrsempfang. Bei der Gelegenheit war zufällig die Temperatur Thema. Bei uns wird für Gottesdienste auf 18 ° C geheizt. Die vor wenigen Jahren modernisierte Heizungsanlage schafft das, anders als die alte, in wenigen Stunden. Bei den Katholiken nebenan gibt es laut Auskunft der Pfarrerin, konsequent 16 °.

    Unsere Orgel scheint mit den 18 ° zurechtzukommen. Sie muss zwar im Sommer überholt werden, aber von heizungsbedingtem Schimmel war dabei nicht die Rede.

    1. juhopma says:

      Dann ein Hoch auf eure Kirche! 🙂

    2. Bärbel says:

      Gehört vielleicht nicht ganz hierhin, will ich aber mal weitererzählen. Letzten Sonntag war ich in einer Kirche, die das 70. Jubiläum ihres Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg feierte. Im Krieg war der Turm Luftschutzbunker für die Anwohner rund um die Kirche, die wegen Häusern aus dem 17./18. Jhd. keine Keller hatten. Letzten Sonntag war auch der 77. Jahrestag der Zerstörung der Kirche, bei der 19 Menschen starben. Letzten Sonntag wurde auch verkündet, dass die Kirche verkauft werden muss, weil das Geld für die Erhaltung (trotz einer 20 Jahre gut laufenden Stiftung der Gemeindemitglieder) spätestens in 10 Jahren mangels Geldern aus der Kirchensteuer nicht mehr da ist.
      P.S. Wir sassen im Mantel da und bekamen einen Kinderpunsch zum Aufwärmen.

  4. Jörg Arndt says:

    Soweit ich weiß, tritt das Schimmel-Programm eher dann auf, wenn es zu kalt wird. Unter 11 Grad geht gar nicht, meine ich mich zu erinnern.
    Wenn Luft abkühlt, kondensiert die Feuchtigkeit und dringt in die Orgel ein. Wenn zu warm, ist eher die Trockenheit der Luft das Problem. Das tritt aber nicht auf, wenn genügend Leute in der Kirche sind – die bringen Luftfeuchtigkeit mit sich.
    Die Temperaturänderungen sollten auch nicht zu abrupt erfolgen, sondern allmählich: wenn die Kirche zu schnell aufgeheizt wird, kommt die Orgel auch nicht hinteran …
    Gut ist auf jeden Fall ein Hygrometer.

  5. Robin says:

    Bei schwindenden Gottestdienstbesuchern kann man sich aber fragen, ob das Heizen überhaupt lohnt, denn große Kirchen auf Wohlfühl-Temperatur zu bringen kostet eben auch mächtig viel Energie.
    Wenn man sich aber ohne (von dir erwähnte) Konsequenzen über die Temperaturvorschriften in der Kirche hinwegsetzten kann, könnte man dann nicht auch still und heimlich eine Orgel abschaffen? Man kann es ja zumindest versuchen. Gäbe es dem Kirchenrecht zufolge überhaupt Konsequenzen?

    1. juhopma says:

      Absolut, das kostet viel Energie/Geld. Und es gibt auch einfach Kirchen, die nicht beheizbar sind (man stelle sich nur mal den Kölner Dom vor…).
      Und das mit der Orgel… das muss ich mal recherchieren… sehr gute Frage 😀

      1. Bärbel says:

        Dieser Tage habe ich im Fernsehen erfahren, dass in Passau die größte Orgel der Welt ist, die nur DREI Personen überhaupt spielen dürfen. Wie hoch darf Passau wohl heizen?
        Ich war vor Jahrzehnten mal im Kölner Dom, da war es – obwohl im Frühsommer – damals schon kalt. Die Elbphilharmonie dürfte aufgrund der immensen (Mehr) Kosten wohl über eine bessere Isolierung verfügen oder sogar über Solaranlagen?

        1. juhopma says:

          Sie wird mit Sicherheit besser isoliert bzw. besser beheizbar sein als Kirchen, ja…

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